Wie umgehen mit Toxic Positivity?

Toxische Beziehungen, toxische Männlichkeit und nun auch noch toxische Positivity? Klingt wie ein Oxymoron, aus einer Gedichtinterpretation. Zu Deutsch: Gegensatzpaar. Offenbar kann in Zeiten von Body Positivity und „Positive Vibes only“ zu viel Positivität einfach zu viel sein. Aus allem immer das Beste zu machen, egal wie mies die Situation ist, kann ganz schön anstrengend werden – nicht nur für sich selbst sondern auch für das Umfeld. Vorausgesetzt das soziale Umfeld ist nicht mitschuldig. Sprüche wie: „Jede Krise birgt eine Chance“ oder „Was einen nicht umbringt, härtet ab“ sind typisch, um Betroffenen das persönliche Leid klein zu reden oder ganz abzusprechen.

Sprüche statt Empathie
„Ist doch alles halb so schlimm und mach kein Drama draus“ ist das, was anstelle des erhofften Mitgefühls rüberkommt. Sicher, in (fast) jeder Krise steckt auch eine Chance, aber nur wenn man sie als solche annimmt und nicht bagatellisiert. Berechtigte negative Gefühle einfach zu verdrängen ist keine Lösung, im Gegenteil. Wegschieben, Tür zumachen heißt lediglich, dass sie irgendwann wieder auftauchen und dann meist massiver als vorher. Wer hilfesuchend mit Lebensweisheiten à la „wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade draus“, abgespeist wird, fühlt sich meist allein gelassen und nicht empathisch aufgefangen.

Probleme abwimmeln
Toxische Positivität bedeutet in letzter Konsequenz, dass jeder für sein Glück, aber auch Unglück selbst verantwortlich ist. Mit der richtigen positiven Denkweise und dem Glauben daran wird jedes Hindernis überwunden. Es fehlt nur die richtige Einstellung zu den Problemen und dem Leben als solchem und wer das, egal, wie es ihm geht, nicht hinkriegt, hat letztlich versagt. Somit schafft krampfhafte Positivität zwischenmenschliche Distanz, wo Nähe gefragt ist, und signalisiert Kritik, wo Empathie hilfreich wäre.

Dauerlächeln belastet nur
Natürlich kann man schlechte Laune auch mal weglächeln, weil die Gesichtsmuskeln dem Gehirn Optimismus signalisieren. Aber eine echte Krise wird durchs Dauergrinsen nur verstärkt. Berufsmäßige Verdränger landen nicht selten im Burnout oder Depressionen. Trauer, Enttäuschung und Angst gehören zum Leben und sind wichtige Teile unserer emotionalen Vielfalt. Psychologen*innen nennen das Emodiversity, je vielfältiger desto besser. Und desto besser für unsere Gesundheit und ein geringeres Risiko für Entzündungen und chronische Erkrankungen, wie Studien belegen.

Positive vibes only?
Auch negative Emotionen anzunehmen, ist die notwendige Basis für psychische Gesundheit. Die Ansage „Positiv Vibes only“ dient dazu alles Negative zu negieren und sich daran festzuklammern, dass nur genügend Optimismus letztlich zu einem Happy End führen wird. Ehrlichkeit und Akzeptanz uns selbst und anderen gegenüber bedeutet ein gesundes Maß an Optimismus. Wer offen und ehrlich mit sich selbst umgeht, erscheint auch nach außen authentisch. Entsprechend treten einem mehr Menschen mit einem offenen Ohr und weniger Sprücheklopfer entgegen. Am besten mal überprüfen, welche Alltagsweisheiten man selbst öfter benutzt.