Vor Long-Covid ist kaum jemand geschützt!
Die reine Infektionsphase ist bei Covid-19 in der Regel nach zwei Wochen vorbei. Doch viele Patienten sind dann noch lange nicht gesund oder voll belastbar. Die Spätfolgen bemerken manche erst Monate später. Die Bezeichnung Long-Covid stammt von Medizinern, die rund ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie bei immer mehr Genesenen ähnliche Symptome feststellten. Und dies selbst bei Patienten, die während der Infektion nur sehr leichte Beschwerden hatten und nicht nur bei jenen, die auf den Intensivstationen behandelt werden mussten. Man geht inzwischen davon aus, dass Post-Covid oder Long-Covid 10 bis 20 Prozent aller Corona-Patienten treffen kann. Dieses spezielle Krankheitsbild ist Folge einer umfassenden Systemerkrankung, die jede Zelle und jedes Organ betrifft, wie man sie beispielsweise auch bei einer schweren Blutvergiftung kennt.
Je mehr Symptome während der akuten Infektionsphase aufgetreten sind, desto höher ist das Risiko später Long-Covid-Beschwerden zu entwickeln, so der aktuelle Forschungsstand. Eine chinesische Studie vom Februar 2021 zeigt, dass Schwersterkrankte sogar zu 50 Prozent auch sechs Monate nach ihrer Genesung nicht Vollzeit arbeiten konnten. 22 Prozent waren sogar als arbeitsunfähig einzustufen. Diese Patienten litten vor allem an Müdigkeit, Muskelschwäche und Atemnot, was auch durch die lange intensivmedizinische Behandlung zu erklären ist. Dazu kommen Berichte von langfristigen Problemen mit Lunge, Nieren, Herz, Gehirn und Nervenzellen. Trat die Infektion bei mehreren Personen innerhalb einer Familie auf, findet man bei den Long-Covid-Symptomen komplett unterschiedliche Ausprägungen und Symptome, von nur vorrübergehend leichten Beschwerden bis zu schwersten Belastungsstörungen.
Noch immer kann man die Ursache der häufig auftretenden neurologischen Probleme nicht wirklich identifizieren. Die Suche bleibt in der Regel ohne konkretes Ergebnis, so dass Betroffene meist nicht wissen, wie sie mit ihrer bleiernen Müdigkeit, der Watte im Kopf, dem plötzlichen Schwindel und den Konzentrationsstörungen umgehen sollen. Die Beschwerden ähneln teilweise denen einer frühen Demenz. Bei manchen können diese nach einigen Wochen oder Monaten wieder verschwinden, bei einigen werden sie aber auch chronisch. Im besten Fall wenden sich betroffene Patienten an ihren Hausarzt und werden an eine Reha-Kliniken oder -Ambulanz vermittelt. Es ist aber zu befürchten, dass viele unerkannt oder unbehandelt bleiben. So kann sich auch ein langfristig schwer behandelbares chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS) ausbilden.
Bei vorrübergehenden Störungen der Belastungsintoleranz empfiehlt es sich besser nicht über die aktuellen körperlichen Grenzen hinauszugehen. Mediziner nennen dies Vorgehen Pacing. Symptome wie der sogenannte Brainfog, wenn die Patienten sich im Kopf wie vernebelt fühlen, können ebenso auftreten wie anhaltende Depressionen. Selbst Gelenkschmerzen, Bluthochdruck oder verstärkter Herzschlag können noch Monate nach der Genesung vorkommen. Manche Patienten fühlen sich wie in einer ständigen Achterbahnfahrt, andere beschreiben Long-Covid ironisch auch als Adventskalender, der täglich neue Symptome bereithält.
Immer mehr Reha-Kliniken begleiten inzwischen Long-Covid-Patienten auf dem Weg in ein normales Leben. Hier setzt man vor allem auf Atem-, Koordinations- und Kraftübungen kombiniert mit Entspannungstherapien und Hirnleistungstraining. Gerade jüngere Patienten zwischen 20 und 50 können aber sogar nach erfolgter Reha nicht in ihre alten Jobs zurück und müssen sich beruflich umorientieren. Manche Mediziner stufen Long-Covid auch als Autoimmunstörung ein, die vor allem bei jüngeren Frauen und im mittleren Alter auftrete. Als Begründung wird hier ein bei Frauen oft aktiveres Immunsystem angeführt, das gleichzeitig auch schneller überreagiert. Laut RKI galten Ende März 2021 ca. 2,4 Mio. Menschen in Deutschland als von der Infektion genesen, von denen leiden derzeit etwa 10 Prozent, also 240.000 Menschen an den Spätfolgen.